Warum Experten und generell Menschen mit viel Erfahrung sich schnell mal irren können, ist mir bei meinem letzten Arztbesuch bewusst geworden. Auch ich bin mit meiner Erfahrung in Sales und Coaching nicht davor gefeit, vorschnell zu urteilen. Wie Du Dich davor schützen kannst, Deiner eigenen Erfahrung zum Opfer zu fallen, liest Du hier.  

Gestern war ich wegen meines Hustens beim Arzt. Noch bevor ich komplett erzählen konnte, was mich plagt, unterbrach er mich und sagte: „Ich weiß schon, was Sie haben. Das gibt’s im Moment ständig.“ Er untersuchte mich danach zwar noch ordentlich, und ich denke schon, dass die Diagnose am Ende stimmte (wir werden es sehen, wenn die Medikamente anschlagen). Dennoch hat es mich irritiert, dass er sich so schnell festgelegt hat.  

Dann kam ich ins Grübeln: Ist mir das nicht auch schon passiert?  

Es gibt anscheinend tatsächlich so etwas wie einen Expert-Bias*. Wenn man zu viel weiß, fällt man zu schnell ein Urteil, fragt eventuell nicht mehr genug nach und hört nicht aufmerksam genug zu.  

Bin ich mit 25 Jahren Erfahrung davor gefeit? Nope! Klar, wenn mir jemand etwas erzählt, bekomme ich schnell ein Bild, und meistens hilft meine Erfahrung dann, die richtigen Lösungen vorzuschlagen – aber eben nur meistens.  

Manchmal liege ich daneben! Und wenn ich dann nicht gut zuhöre und erst einmal verstehe, greife ich pauschal in meinen Lösungstopf und hole das heraus, was in vielen Fällen das Richtige ist, aber für diesen Kunden nicht passt. Im Optimalfall wehrt sich mein Kunde oder Klient dann, und wir können nach einer besseren Lösung suchen. Schlimmer ist es, wenn meine ach so brillanten Ideen schweigend angehört werden, sich mein Gegenüber aber gleichzeitig vollkommen unverstanden und abgebügelt fühlt.  

Sei ehrlich! Ist Dir das auch schon mal passiert?  

Wenn ja, dann kommen hier 5 Tipps:  

1. Lade Kunden ein zu erzählen! Das wollen sie ohnehin. Auch wenn die Geschichte scheinbar noch so abgedroschen ist und Du sie schon tausend Mal gehört hast, will doch fast jeder Kunde seine individuelle Variante davon erzählen.  

2. Hör zu! Das ist meistens das Schwerste. Gerade wenn bei Dir sofort die Lösungsideen hochploppen und Deine Erfahrung sich meldet mit: „Kennen wir schon“, ist es umso wichtiger, Deinen Fokus wieder auf Dein Gegenüber zu lenken.  

3. Hinterfrage! Hier hilft Erfahrung wirklich. Du kannst nämlich mit Deinem Vorwissen aus einer oberflächlichen Beschreibung eine präzise Bestandsaufnahme machen. Mit den richtigen – idealerweise offenen – Fragen zeigst Du gleichzeitig, dass Du Dich auskennst.  

4. Bleib neugierig! Du magst vielleicht denken, dass Du alles schon gehört hast. Sei trotzdem offen und neugierig, um jeden Kunden, jeden Fall und jedes Problem neu zu verstehen. Es gibt immer Aspekte und Nuancen, die einmalig sind – finde sie!  

5. Zweifle! Stelle Dich und Deine Expertise in einem gesunden Maße immer wieder auf den Prüfstand. Egal, wie viel Du schon weißt und kennst: Du bist ein besserer Berater, Verkäufer oder Coach, wenn Du verstehst, dass Du nur durch Sorgfalt und Selbstreflexion zur Hochform auflaufen kannst.  

Fazit: Niemand ist so erfahren, dass er nicht von seinem Gegenüber noch etwas lernen oder etwas Neues entdecken könnte. Viel Spaß dabei!

* Jason M. Chin (2018) – Studie über voreingenommene Sachverständige

Moti Mizrahi (2017) – „Arguments from Expert Opinion and Persistent Bias“

Foto von Austrian National Library in Unsplash

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